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Im Einsatz für die soziale Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Einblicke in die Arbeit einer Sachverständigen für barrierefreies Bauen

Arch. Sandra Careccia: Sachverständige für barrierefreies Bauen im Bezirk Landeck

F.acT: Bitte erzählen Sie uns etwas über die Wichtigkeit der Inklusion von Menschen mit Behinderung und Ihre Aufgaben als Sachverständige für barrierefreies Bauen.

Sandra Careccia: Menschen mit Behinderungen sind einfach Menschen. 
Wie alle anderen Menschen wollen sie ganz normal leben, ihre Freizeit genießen, sich weiterbilden, soziale Kontakte haben und pflegen, Freunde treffen, arbeiten usw. 
Nichts Besonderes! Inklusion bedeutet ganz einfach, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben und die Bedingungen zu schaffen, damit sie trotz ihrer möglichen physischen oder psychischen Einschränkungen normal wie alle anderen leben können. Fehlende Inklusion führt zu unmenschlichen Bedingungen der Ausgrenzung und Isolation. Deshalb ist es so wichtig, Inklusion zu schaffen: Denn Inklusion gibt diesen Menschen die Chance, ganz normale Menschen zu sein.

Meine Aufgabe als Sachverständige besteht in erster Linie darin, dieses Bewusstsein zu verbreiten. Zweitens besteht meine Aufgabe darin, die touristischen und institutionellen Akteure auf dem Weg zum Abbau von Barrieren und zur Optimierung der Inklusion zu unterstützen. Als Expertin fungiere ich als Vermittlerin, damit diese Akteure sowohl bauliche Maßnahmen im Einklang mit den geltenden Gesetzen als auch organisatorische und informative Maßnahmen umsetzen können, die darauf abzielen, alle bestehenden Barrieren abzubauen und die Voraussetzungen für Inklusion zu schaffen.

F.acT: Hotelbetreiber:innen müssen im Um- und Neubau gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit befolgen. Sind diese Ihrer Meinung nach ausreichend?

Sandra Careccia: Es wäre schon eine tolle Basis, wenn Hotelbetreiber:innen die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit befolgen würden. Leider wird dies gerade bei Umbauten oft vernachlässigt. Gesetzliche bauliche Vorgaben sind Grundvoraussetzungen für die Umsetzung von Inklusion. Organisatorische Maßnahmen und die Schulung des Personals sind dann ergänzend und manchmal entscheidend. 

Ein klassisches Beispiel: In einem barrierefreien Bad sind die Handtücher in einem hohen Regal untergebracht, das vom Rollstuhl aus nicht erreichbar ist. Oder die Notrufschnur neben der Toilette wird verknotet und gekürzt, weil sie die Putzfrau stört. Dadurch geht der Sinn der Schnur völlig verloren, denn diese sollte sich jedoch in einer maximalen Höhe von 30 cm über dem Boden befinden, um im Liegen genutzt werden zu können, falls jemand auf dem Boden ausrutscht und nicht mehr aufstehen oder wieder in den Rollstuhl einsteigen kann.

F.acT: Was sind Ihrer Meinung die zentralen Herausforderungen in Errichtung barrierefreier Infrastruktur?

Sandra Careccia: Es gibt institutionelle Herausforderungen (oder gewünschte Ziele) und Herausforderungen für die Tourismusbetreiber:innen und Architekt:innen.

Für Behörde-Herausforderungen und Vorschläge:

  • Bei der Betriebsanlagengenehmigung wäre sinnvoll und zielführend, auch die Barrierefreiheit zu checken. 
  • Im Vergabeverfahren für Hotelsterne sollte der Aspekt der Barrierefreiheit berücksichtigt werden.

Herausförderungen für die Tourismusbetreiber:innen:

  • Die Betreiber:innen und die Architekt:innen davon überzeugen, dass Barrierefreiheit kein Randaspekt ist, der am Ende eines Projekts hinzugefügt werden muss, sondern von Anfang an Teil des Projekts ist. 
  • Das Bewusstsein verbreiten, dass Barrierefreiheit heute ein Baustandard ist, den jeder erwartet, weil er Komfort für alle garantiert. Für Menschen mit Behinderungen ist sie jedoch eine Notwendigkeit.
  • Den Irrglauben entmystifizieren, dass Barrierefreiheit mit übermäßigen Kostensteigerungen verbunden sei. Wenn wir bereits in der Entwurfsphase eingreifen, können mit minimalem Aufwand hervorragende Ergebnisse erzielt werden. Die Kosten steigen exponentiell, wenn Sie später eingreifen müssen, um bereits gemachte Fehler zu korrigieren
  • Das Bewusstsein verbreiten, dass bei schon bestehenden, nicht barrierefreien Gebäuden, die Barrierefreiheit kein Ziel ist, das immer auf einmal erreicht werden muss, sondern ein Weg, der auch im Laufe der Zeit bewältigt werden kann: Etwas Kleines zu tun, zunächst einmal und dann immer weiter zu perfektionieren, ist besser als nichts zu tun.

F.acT: Was sind Beispiele Ihrer Arbeit als Sachverständige für barrierefreies Bauen und Bereichsleitung für Barrierefreiheit bei Regionalmanagement für den Bezirk Landeck?

Sandra Careccia: In Rahmen meiner Tätigkeit als Sachverständige für barrierefreies Bauen bieten wir:

  • Kostenlose Beratung für Institutionen, Planer, Behörden, Tourismusverbände und alle, die etwas im Tourismus planen und umsetzen.
  • Erhebung des Stands der Barrierefreiheit in touristischen Einrichtungen und Kommunikation dieses Stands an die Öffentlichkeit über verschiedene Informationskanäle, insbesondere über eine Website für barrierefreien Tourismus.
  • Vernetzung

Ein paar Beispiele für die Ergebnisse unserer Arbeit sind:

  • Die Webseite zum barrierefreien Tourismus im Bezirk Landeck, mit ca. 200 vorgestellten Einrichtungen in 3 Stufen der Barrierefreiheit.
  • Druck des Rolli Raodbooks mit 45 Touren in der Natur für Menschen mit Gehbehinderungen
  • Ergänzung der Ortspläne von Serfaus-Fiss-Ladis mit Informationen über barrierefreie Restaurants
  • Mehrere Zeitungsartikel zur Sensibilisierung für das Thema
  • Einige Beherbergungsbetriebe, die nach unserer Beratung einige Zimmer barrierefrei umgestaltet haben
  • Einige Freizeiteinrichtungen, insbesondere Frei- und Hallenbäder, die Hilfsmittel und Mobiliar angeschafft haben, um Rollstuhlfahrern eine vollständige und selbständige Nutzung der Einrichtung zu ermöglichen, etc.
Rolli Road Book
Rolli Road Book, © regioL

F.acT: Wie zufrieden sind Sie mit den derzeitigen Angeboten für Menschen mit Behinderung und was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft?

Sandra Careccia: Was den Tourismus betrifft, bin ich zufrieden, wenn ich auf die Vergangenheit zurückblicke und den Unterschied im Bewusstsein der Tourismusbetreiber:innen und die Verbesserung und Steigerung des inklusiven/barrierefreien Angebots sehe. 
Weniger zufrieden bin ich, wenn ich die Zahl der barrierefreien Angebote ohne Vergleich mit der Vergangenheit betrachte: Es gibt sehr wenige barrierefreie Angebote im Tourismus und in der Freizeit. Ich schätze etwa 10 % des Gesamtangebots. Dieser Prozentsatz liegt wahrscheinlich unter der tatsächlichen Zahl.
Viele Einrichtungen, die ganz oder teilweise barrierefrei sind, kommunizieren ihre Barrierefreiheit nicht und können daher von Nutzern, die sie benötigen, nicht erkannt oder genutzt werden. Für einen Nutzer, der nach barrierefreien Einrichtungen sucht, ist es so, als ob es sie nicht gäbe. Die Kommunikation der eigenen Barrierefreiheit in der Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Barrierefreiheit und der Inklusion.

Mein Wunsch für die Zukunft: Bei allen Umbauten muss die Barrierefreiheit berücksichtigt und verbessert werden. Alle Einrichtungen (wie auch alle Veranstaltungen, Verkehrsmittel, etc.) müssen auf ihrer Website Informationen über ihre Zugänglichkeit zur Verfügung stellen.

Arch. Sandra Careccia
Arch. Sandra Careccia, © regioL

DI-Architektin, mit zusätzlicher Ausbildung als Sachverständige für barrierefreies Bauen am Normungsinstitut in Wien

Koordinatorin der Koordinationsstelle für Barrierefreiheit im Bezirk Landeck mit Schwerpunkt Tourismus.
Selbstbetroffene: Rollstuhlfahrerin nach einem Skiunfall